Hello Quantenüberlegenheit!
Letzte Woche wurde in der Zeitschrift Nature nun offiziell der Forschungsbericht von Google veröffentlicht, in dem Google eine erste Instanz der „Quantum Supremacy“ ankündigt. Seitdem herrscht ein buntes Medientreiben. Google feiert ihren 53-Qubit-Chip Quantencomputer Sycamore im großem Stil. In Tweets, einem Blog Beitrag und in einem Interview mit dem MIT Tech Review erklärt Sundar Pichai, wie der Quantencomputer ein abstraktes mathematisches Problem löste, für das ein Standard-Computer 10.000 Jahre benötigen würde. Deswegen beanspruchen die Google-Forscher die „Überlegenheit“ für sich. IBM ist damit hingegen nicht einverstanden. Sie veröffentlichten eine Gegenreaktion und erklären, dass es eigentlich keine so große Sache ist. Das gleiche Problem könnte man mit einem Supercomputer in 2,5 Tagen lösen, allerdings haben sie es noch nicht getan, so dass die Vormachtstellung vorerst sehr grau bleibt. Dennoch ist es ein wichtiger Schritt, um Quantencomputer besser zu verstehen und zu beherrschen.
In diesem Kontext sind drei Beiträge empfehlenswert: John Preskill erklärt, warum er den Begriff „Quantum Supremacy“ geprägt hat und was die Google-Ankündigung in diesem Zusammenhang bedeutet. Zudem hat Scott Aaronson einen sehr ausführlichen Artikel mit dem Titel “Scott’s Supreme Quantum Supremacy FAQ!” und einen zusammenfassenden Beitrag namens „Quantum supremacy: the gloves are off“ geschrieben, welche auch die letzten Fragen beantwortet.
Auch wenn sich die Fachwelt nun streitet, das Experiment könnten der Beginn von etwas ganz großem sein und es ist durchaus legitim, den möglichen technologischen Paradigmenwechsel mit Douglas Engelbart Präsentation „The Mother of All Demos“ zu vergleichen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Computer, ähnlich wie die heutige Quantentechnologie, lediglich Rechengeräte, die nur wenige Menschen je gesehen haben. Engelbart zeigte, dass sie viel mehr sein könnten, wenn man sie mit einer “Maus“, einer Tastatur und einem graphischen Interface ausstattet. Später sollte Xerox seinen Alto-Computer nach den Ideen von Engelbart entwickeln, welcher wiederum die Grundlage für Steve Jobs’ Macintosh aus dem Jahr 1984 bildete.
Auch der Vergleich mit den Leistungen der Gebrüder Wright braucht das Experiment nicht zu scheuen. Die Gebrüder waren verantwortlich für einen Durchbruch, auf den viele Forscher und Tüftler über Jahrhunderte hingearbeitet haben. Die Menschheit wusste schon lange, dass es möglich sein muss zu fliegen. Vögel waren schon immer schwerer als Luft. Dennoch dauerte es bis 1903, als die Gebrüder Wright das erste erfolgreiche Flugzeug bauten. Danach explodierte die Branche. Ein Durchbruch folgte auf den nächsten. Es entwickelte sich ein florierendes Ökosystem, dass sich immer weiter zu Höchstleistungen antrieb. Tausende von Jahren konnte der Mensch nicht fliegen, aber dann dauerte es nur 55 Jahre, bis das erste transatlantische Passagierflug den Atlantik überquerte.
Die Gebrüder Wright legten im Jahr 1903 knappe 0,28 Kilometer zurück. Der Distanzrekord für non-kommerzielle Flüge ohne Betankung lag im Jahr 2006 bei 41.500 Kilometer — ein Anstieg um das 150.000fache. Die Entwicklung ist ein perfektes Beispiel für non-lineares Wachstum oder exponentiellen Wandel. Ein einziges Ereignis löste eine Welle von rasanten Verbesserungen in der Luft- und Raumfahrt aus. Als hätte die Menschheit nur darauf gewartet, ihre technologische Schuld zu begleichen.
Die große Frage lautet nun, wie schnell die Quantencomputer-Forschung Verbesserung erzielen wird. Es ist durchaus möglich, dass wir innerhalb der nächsten zehn Jahre große Veränderungen erfahren werden. Auch, weil IBM und Google massiv in Partnerschaften investieren und ein Innovationsökosystem pflegen, in dem sich Durchbrüche und Ideen schnell bewegen können. So sind zum Beispiel die meisten Internetsysteme nicht quantenresistent. Quantencomputer könnten die derzeitigen Verschlüsselungsverfahren überflüssig machen. Das Internet wird sich radikal in seiner Infrastruktur verändern müssen. China baut bereits heute an einem Quanten-Internet, mit Quantenspeicher und Quantensatelliten. Fast jede Branche, die auf hochkomplexe Berechnungen und Simulationen angewiesen ist, könnte völlig verändert werden. Von der Finanzbranche bis zur Wettervorhersage, von der Quantenphysik bis zur Künstlichen Intelligenz. Experten glauben, dass Quantencomputer eingesetzt werden könnten, um menschliche, chemische und biologische Funktionen besser zu modellieren und neue Medikamente zu entwickeln. Und auch die Materialwissenschaft könnte sich stark verändert. So könnten zum Beispiel neue Materialien für Batterien simuliert und erschaffen werden.
Doch nicht nur IBM, Google oder China treiben das Thema. Einen Tag vor der Ankündigung von Google sammelte das Quantencomputer-Startup IonQ 55 Millionen Dollar ein. Das Unternehmen baut eigene Quantencomputer, die es anderen Unternehmen über die Cloud zur Verfügung stellen will. Auch in Deutschland wird das Thema vorangetrieben. HQS Quantum Simulations aus Karlsruhe sammelte 2,3 Millionen Euro in einer Seedfinanzierung ein. Sie wollen mit Quantencomputern Simulationen durchführen, um neue Materialien und Substanzen mit kommerziellem Potenzial, wie zum Beispiel neue Batterien und effizientere Solarzellen, zu entdecken.
Wahrscheinlich werden wir Quantencomputer nicht in unseren Wohnungen sehen, aber mindestens werden wir in der Lage sein, auf sie in der Cloud zuzugreifen. Sie werden unlösbare Probleme vor Herausforderungen stellen. Und manche munkeln sogar, dass die Quanten-Computer-Revolution noch tiefgreifender sein könnte, als die digitale Computer-Revolution, welche vor 50 Jahren begann. Wer weiß, eventuell wird sie uns sogar schneller treffen als gedacht.
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Paradigmenwechsel Technologischer Wandel non-linear growth transitions