October 12, 2020

Wie Edison und die Brüder Lumière die Filmindustrie erfanden

Edison KinetoscopeEdison Kinetoscope

Innovation ist inkrementell, baut auf Netzwerke, bedeutet Rekombination, setzt auf Trial & Error und ist mehr als die Teilsumme. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Geburt der Filmindustrie, rund um die Entwicklung von Film und Projektoren.

1877 präsentierte Edison seine größte Erfindung: den Phonographen. Auf der Suche nach einem Graphen für das Auge beauftragte Edison 1888 seinen Mitarbeiter William Dickson mit der Erfindung einer Laufbildkamera. Aufbauend auf den Arbeiten von Muybridge & Marey, die die Chronofotografie erfanden, baute Dickinson ein Schuppen-großes optische Aufzeichnungsgerät namens Kinetograph. Damit produzierte er die ersten Kurzfilme, die einzeln für 25 Cent in einem Guckkasten, dem Kinetoskop, in Endlosschleife betrachtet werden konnten. 1894 wurde in New York der erste kommerzielle Kinetoskop-Salon eröffnet. Schnell folgten weitere. So bringt der Edison Freund und Schokoladeproduzent Ludwig Stollwerck 1895 die Technologie nach Deutschland.

Das Publikum war begeistert, langweilte sich aber schnell. Die Einschränkungen waren offensichtlich: Man musste von Gerät zu Gerät gehen und konnte sie nur einzeln nutzen. Die Magie nutzte sich ab.

Kinetoscope SalonKinetoscope Salon

Nachdem der Kinetoskop-Hype abflachte, drängten Edisons Mitarbeiter den Erfinder ein Projektionsgerät zu entwickeln, damit mehr Personen in den Genuss von Film kommen konnten. Doch Edison sträubte sich. Wenn man die Kinetoskope durch Projektoren ersetzt, braucht man in den USA nur zehn Stück, wirft er ein. Man sollte nicht das Huhn schlachten, das goldene Eier legt.

Zur gleichen Zeit machten sich die Brüder Auguste & Louis Lumière in Frankreich daran, Edison zu zeigen, wie es geht. Die beiden entstammten einer Fotografen-Familie und wurden früh in das Unternehmen des Vaters eingeführt. Bereits mit siebzehn erfand Louis eine neue Technik zur Entwicklung von Filmen, die sich als sehr ertragreich für das Familienunternehmen erwies.

In den frühen 1890er Jahren kam dann Papa Lumière in Kontakt mit einem Kinetoskop. Wieder daheim, zeigte er seinen Söhnen ein Stück Filmmaterial und bat sie eine effizientere und billigere Alternative zu entwickeln. Doch Antoine ging noch einen Schritt weiter. Er erkannte das Potential, welches in einem Projektor steckt. Im Gegensatz zu Edisons Kinetoskopen konnten mehrere Zuschauer einen Film sehen. Und noch viel wichtiger: Das Geschäft war skalierbar.

Im Winter 1894 startete August Lumière die ersten Experimente und entwickelte eine Alternative zu Edisons Kinetoskop. Innerhalb weniger Monate hatten die Brüder den ersten Prototypen gebastelt und gaben ihm den Namen Cinématographe.

Das Gerät war kleiner, leichter, leiser und einfacher als Edisons Kamera. Der einzige Nachteil: Es nahm weniger Frames pro Sekunde auf. Die Schlüsselinnovation war ein Mechanismus, der den Film effizienter durch das Gerät bewegte: Löcher in den Zelluloidfilmstreifen ermöglichten eine leichtere Vorwärts- und Rückwärtsbewegung des Films. Der Cinématographe konnte Bilder aufnehmen, entwickeln und projizieren. Die Brüder hatten die allererste echte Filmkamera entwickelt.

Man präsentierte den Cinématographe der Pariser Öffentlichkeit im Dezember 1895 mit großem Erfolg. Bald eröffneten die Brüder die ersten Kinos in London, Brüssel, Belgien und New York. 1896 hatten sie schon über 40 Filme aufgenommen, schickte Filmreporter in die ganze Welt und produzierten die erste Wochenschau.

Lumière PosterLumière Poster

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben. Die Brüder haben im Alleingang eine neue Industrie geschaffen. Ihr Gerät erwies sich als so instrumental, dass es der neuen Kunstform, die wir als Cinema kennen, ihren Namen verlieh.

Der Lumière’sche Cinématographe war nicht einzigartig. Zeitgleich entwickelten Charles Francis Jenkins & Thomas Armat aus Washington, DC den Phantoscope, eine Maschine die ähnlich funktionierte wie der Cinématographe. Das Brüderpaar Latham realisierte im Mai 1895 die erste Filmshow für ein zahlendes Publikum. Sie nannten ihr Gerät Eidoloskop, das sie zusammen mit ehemaligen Edison Mitarbeitern, u.a. dem Dickson entwickelten. Und in Berlin werkelten Max und Emil Skladanowsky am Bioskop & führten im Sommer 1895 Filme in Pankow vor. Ein typischer Fall der Theorie der Mehrfachentdeckung.

Edison hingegen hatte in der Zeit keinen eigenen Projektor entwickelt. Seine Mitarbeiter überzeugten ihn aber die Patentrechte am Phantoscope von Armat zu kaufen. Um Armat zu überzeugen, argumentierte man die Welt würde sowieso nur auf ein Gerät von Edison warten und mit Edison zu konkurrieren lohne sich nicht.

Das Gerät wurde als neue” Edison Erfindung unter dem Titel Vitascope vermarktet. Die Presse feierte es euphorisch, als es im April 1896 in New York City vorgestellt wurde. Handkolorierte Bilder wurden auf eine 6x4m große Leinwand projiziert. Damit begann die amerikanische Filmindustrie unter dem Namen Edison.

Edison PosterEdison Poster

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben. Die Geschichte der Brüder Lumière ist eng mit Edison verwoben. Der eine inspirierte die Anderen, deren Entwicklung wiederum den großen Erfinder umdenken ließ. Edison hielt seine starke Meinung schwach und änderte umgehend seine Einstellung, als er feststellte, dass eine Projektion vielversprechender ist als Guckkästen. Seine Genialität bestand darin, die Erkenntnisse und Fehlschläge seiner Konkurrenten für sich zu nutzen. Nichts entsteht ex nihilo. Wie kaum ein anderer wusste er Innovationsströmungen und -dynamiken zu orchestrieren und ihnen eine Richtung zu geben.

Parallel zeigen uns die Brüder Lumière, dass es nicht unbedingt einer Ideenmaschine wie Menlo Park bedarf, um einen Durchbruch zu erzielen. Pragmatisch und praktisch erkannten sie ein Potential und erschlossen es. Ihre fachliche Prägung half ihnen das richtige Problem zu erkennen und fokussiert daran zu arbeiten.

Das moderne Kino hat nichts mehr mit seinen Ursprüngen zu tun. Und auch das Kino der Zukunft wird anders aussehen, als im Jahr 2020. Ideen, Erfindungen und Innovationen befruchten sich ständig selbst und entwickeln sich inkrementell weiter. Und manchmal ist ein Moonshot nur eine Produkt-, Geschäftsmodell oder Technologievariation entfernt.


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