Amazon, Bertelsmann und BOL
Die deutsche Wirtschaft kann nicht von sich behaupten, resonanzfähig für digitale Innovationen zu sein, auch wenn man ihr schon immer Gelegenheiten darbot. Zudem leidet sie augenfällig unter dem Not-invented-here-Syndrom, das sich speziell bei Make-or-buy-Entscheidungen bemerkbar macht.
Ein Beispiel: 1998 war Amazon.com bereits vielen ein Begriff. Der Markt für Onlinebuchhandlungen blühte und viele wollten auf den Zug aufspringen. Auch der deutsche Traditionskonzern Bertelsmann. Man wollte 30 Prozent (in Worten: dreißig) von Amazon übernehmen bzw. bot Amazon die Anteile Bertelsmann an. Jeffrey Bezos forderte jedoch zu viel Geld und ein Mitspracherecht im europäischen elektronischen Buchgeschäft. Der Deal kam nicht zustande. Stattdessen gründete Bertelsmann bol.de (Bertelsmann Online) und beteiligte sich mit 200 Millionen US-Dollar an der von Barnes & Noble ausgegründeten Dot-Com Tochter barnesandnoble.com. bol sollte als Mediastore mit wechselnden Partnern überall außerhalb der USA mit amazon.com in Wettbewerb treten, in den USA sollte dies barnesandnoble.com tun.
Das Ende vom Lied: Beide Onlinebuchhändler wurden drei Jahre später im Zuge einer Konsolidierung zur Stärkung des Kerngeschäfts abgestoßen. (Bildquelle: Der Spiegel 42/1998)
Update: Christian Bölling verwies auf LinkedIn auf den OMR Podcast mit Thomas Middelhoff. Dieser gibt darin die Anekdote zum besten, dass man das Joint Venture bereits fertig verhandelt hatte und Jeff Bezos für finale Gespräche aus seinem Honeymoon-Trip in der Türkei hat einfliegen lassen. Stilecht mit dem Bertelsmann-eigenen Flieger. Allerdings sägte der Vorstand den Deal ab. Wohl auch, weil Bezos die Frage bejahte, ob er denn auch Möbel und Wein auf der Plattform verkaufen wolle. Anscheinend traute man es ihm nicht zu. In einem Interview mit der Computerwoche von 1998 geht Jeff Bezos auf die Übernahme ein.
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