Pocket Guide to Digital Disruption #2: Nothing stops anyone from copying your business model
In den 2000er Jahren erreichte die Nutzung digitaler Medien eine neue Qualität. Früh fokussierten sich einige der klügsten Köpfe Amerikas darauf, eine Software zu entwickeln, die die Suche nach Informationen im Internet mit Werbung verbindet.
Der unangefochtene Favorit im Rennen um kommerzielle Suchdienste war Overture, ehemals bekannt als GoTo.com. Das Unternehmen wurde 1998 von Bill T. Gross gegründet, der den Weg für das Feld der Internetwerbung und Suchmaschinenmarketing geebnet hat, indem er das Pay-per-Click Werbemodell erfand. GoTo bot Werbetreibenden die Möglichkeit, ihr Ranking in den Ergebnissen der GoTo Suchmaschine, aber auch in allen an GoTo’s Suchengine angeschlossenen Suchmaschinen, zu verbessern. Ähnlich dem Gelbe Seiten Modell, bezahlten Firmen dafür, dass ihre Internetseiten an oberster Stelle in Suchergebnissen zu einem bestimmten Keyword platziert wurden. Jedesmal, wenn ein Suchender auf einen Link zur Website eines Werbetreibenden klickte, wurde dann ein Betrag vom Werbetreibenden an GoTo gezahlt.
Gross hoffte, dass damit nicht nur Spam-Ergebnisse in den Suchmaschinen verringert wurden. Auch die Preise für Suchanzeigen sollten theoretisch nachlassen. Denn um das Jahr 2000 dominierten im Internet Bannerwerbungen, die einen festen Platz auf Web-Portalen hatten. Werbetreibende bezahlten für PageViews. Mit Keyword-basierten Anzeigen müssten die Werbetreibenden jedoch nur dann bezahlen, wenn ihre Keyword-basierte Werbung auch tatsächlich einem Nutzer angezeigt wird. Die Platzierung wurde durch eine Auktion bestimmt, so dass wünschenswertere Keywords höhere Preise erzielten, während weniger gängige Keywords für nur einen Cent pro Klick verfügbar waren.
Mit dem Geschäftsmodell im Rücken, entwickelte sich GoTo prächtig. Die Nutzerzahlen stiegen und die Gewinne explodierten. Am 18. Juni 1999 ging das Unternehmen an die Börse. Ein zweiter Börsengang folgte am 28. Juni 2001, welcher dem Unternehmen eine Bewertung von 921 Millionen US-Dollar einbrachte. Kunden der damaligen Zeit waren die Schwergewichte des frühen Internets. Sie hießen AltaVista, Yahoo, AOL und MSN. Alle bezahlten gutes Geld, weswegen man sich irgendwann voll auf die Syndizierungspartner fokussierte und eine eigene Portal-Strategie aufgab. Angetrieben durch den Strategieschwenk, benannte man sich am 8. Oktober 2001 in Overture Services um. Bis zum Ende des Jahres hatten Internetnutzer runde 1,4 Milliarden Mal auf Overture-Anzeigen geklickt. Damit schien das Rennen um die Vorherrschaft für kommerzielle Suchdienste beendet. Der Markt hatte eine Milliardenwette platziert.
Doch letztlich half all dies nichts. Trotz des technologischen Vorsprunges und der milliardenschweren Kriegskasse ist Overture nur noch eine Randnotiz der Internetgeschichte. Denn ein damals noch kleines Unternehmen sollte das Rennen für sich entscheiden.
Ein Wochenende im Mai 2002 veränderte den Lauf der Geschichte
Eines Freitagnachmittags, am 24. Mai 2002, ging Larry Page in die Büroküche seines Unternehmens in 2400 Bayshore Parkway in Mountain View, Kalifornien, und hing einen Zettel mit drei Worten an die Wand, die seine und unsere Welt verändern sollten. Der Zettel war an einen Ausdruck von Google-Suchergebnissen zu einem Oldtimer-Motorrad geheftet. Auf ihm stand in großen, fetten Buchstaben:
“THESE ADS SUCK!“
Sein Beweggrund: Eigentlich sollte die AdWords-Engine relevante Werbeanzeigen passend zum Suchbegriff des Nutzers schalten. Man hatte längst die Brillanz des Geschäftsmodells von Gross und Overture erkannt und beschloss selbst auf Pay-per-Click-Suchergebnisse zu setzen. Allerdings zeigte Google für den Suchbegriff „Kawasaki H1B“ keine Werbung für das Motorrad Kawasaki H1B an, sondern Anzeigen für Anwälte, die beim H-1B-Visum ihre Unterstützung anboten. Die AdWords-Engine hatte schlichtweg Mühe, Suchbegriffe mit geeigneten Anzeigen zu verbinden. Overture war Google technologisch um Jahre voraus.
Nachdem Page seinem Unmut anonym in der Küche Ausdruck verliehen hatte, begab er sich ins Wochenende. Was in der Folge passierte, gibt die Geschichte uneinheitlich wieder. Doch die Details spielen in diesem Falle auch nur eine untergeordnete Rolle. In „How Google Works“, von Eric Schmidt und Jonathan Rosenberg, trug ein Team von fünf Informatikern zur Lösung des Problems bei. In „In the Plex: How Google Thinks, Works, and Shapes Our Lives“ von Steven Levy heißt der Held Jeff Dean, der damals bereits als einer der besten jungen Informatiker des Landes galt, zu den ersten 40 Mitarbeiter von Google zählte und heute Google.ai, Google’s Abteilung für Künstliche Intelligenz, leitet.
Jedenfalls entdeckte die Gruppe beziehungsweise Jeff Dean oder die Gruppe um Jeff Dean — alle nicht im AdWords Kernteam — die Notiz. Sie erkannten eine vage Verbindung zu einem alten PageRank-Such-Problem und machten sich an die Arbeit, obwohl sie andere Dinge zu tun hatten und das Wochenende vor der Tür stand. Niemand fragte um Erlaubnis. Alle hätten jederzeit aufhören können, und niemand hätte es bemerkt. Aber niemand gab auf. Sie arbeiteten das Wochenende durch und schickten am Montag um 05:05 Uhr eine E-Mail, in der sie eine Lösung skizzierten.
Die Antwort löste nicht nur das AdWords-Problem, sondern verwandelte Google in eine riesengroße Gelddruckmaschine. Zwar hatte Google bereits damals die beste Suchmaschine, doch blutete man Geld. Das Internet wurde dominiert von Portalen, wie das von HotBot oder Yahoo. „Suche“ war nur ein Feature, dass sich die Portale von AltaVista oder Inktomi einkauften. Der Zeitgeist befand, dass man mit „Search“ kein Geld verdienen könne. Geld wurde nur dann erwirtschaftet, wenn man die Verweildauer der Nutzer auf den Portalen erhöhte, um mehr Banneranzeigen schalten zu können.
Doch Brin und Page haben Banneranzeigen schon immer gehasst. Sie fanden sie hässlich und nervig zugleich. Zudem braucht Bannerwerbung Zeit zum Laden. Und wenn Google etwas mehr hasste als hässliche Banneranzeigen, dann schlechte Performance. Das Paid Search Werbemodell von Bill Gross stoß daher bei Google auf großes Interesse. Auch, weil Google bis dato vorrangig an Algorithmen gearbeitet hatte und nicht an Geschäftsmodellen. Brin und Page trafen deswegen Gross auf einer TED Konferenz, um eine von Gross vorgeschlagene Fusion zu besprechen. Doch Google lehnte ab. Auch eine Partnerschaft wurde ausgeschlagen. Jedoch adaptierte man das Modell relativ zeitnah. Bereits im Januar 2000 wurden die ersten textbasierten Suchanzeigen in die Suchresultate von Google eingebaut.
Getrieben durch die „THESE-ADS-SUCK-Wochenendaktion“ erhöhte sich die Genauigkeit der Suchwerbeanzeigen um einen zweistelligen Wert. Auf der Grundlage dieser und weiterer Verbesserungen stieg der Gewinn von Google im Folgejahr von 6 Millionen US-Dollar auf 99 US-Millionen Dollar. Knappe 16 Jahre später, stammt der Großteil des ca. 110 Milliarden Dollar Umsatzes im Jahr 2017 von AdWords. Im Jahr 2018 beliefen sich die Werbeeinnahmen von Google bereits auf etwas mehr als 116 Milliarden US-Dollar. Der Erfolg der AdWords-Engine wurde zum Lebenselixier von Google und finanziert seitdem jede noch so verrückte Wochenendinnovation.
Auftritt Yahoo und der Niedergang von Overture
Und Overture? Trotz Technologievorsprung und den Milliarden auf der Bank — Google ging erst im August 2004 an die Börse — erstickte das Unternehmen in bürokratischen Entscheidungsprozessen. Unzählige Strategie-, Technologie- und Taktikmeetings mussten gehalten werden, bevor überhaupt ein Entschluss gefasst wurde. Gut gemeinte Konterangriffe stockten, weil nur wenige vorpreschten und niemand nachrückte.
Hinzukam, dass Overture zum Spielball der noch erfolgreicheren Internetunternehmen wurde: Am 7. Oktober 2003 wurde Overture für 1,83 Milliarden Dollar von Yahoo aufgekauft, weil Terry Semel, Yahoo’s CEO von 2001 bis 2007, im Kampf gegen Google gezwungenermaßen zu Plan B übergehen musste.
Schon 1997 hätte Yahoo die Möglichkeit gehabt, die Google-Suchalgorithmen von den Stanford-Doktoranden Sergey Brin und Larry Page zu erwerben. Doch Yahoo — und auch die damaligen Konkurrenten Altavista und Excite — lehnte ab. Die Begründung lautete: Der Hype der Suchmaschinen sei vorbei und die Technik nicht mehr grundlegend zu verbessern. Brin und Page, die eigentlich keine Firma hatten gründen wollen, taten dies am 4. September 1998 letztlich doch.
Im Sommer 2002 kamen die Gründer von Google zu Yahoo, um nach einer Bargeldinfusion zu fragen. Terry Semel bot an Google für rund 3 Milliarden Dollar zu kaufen, doch die jungen Unternehmer waren nicht interessiert. Sie forderten 5 Milliarden US-Dollar. Einen Preis, den Yahoo nicht aufbringen wollte. Wohl auch, weil Yahoo seinen gesamten damaligen Marktwert hätte aufbringen müssen, um den Deal zu stemmen. Da Semel und Yahoo aber den Wert des Pay-per-Click Geschäftsmodells erkannten und Suchmaschinen sich doch noch weiterentwickeln konnten, sahen sie sich gezwungen eine Alternative zu Google zu entwickeln. Die Lösung des Problems: Man wollte eine Suchmaschinentechnologie und eine Suchmaschinenmarketingtechnologie kaufen. Ende 2002 übernahm Yahoo Inktomi, die nach Google die zweitbeste Suchtechnologie der Welt besaßen, für einen Schnäppchenpreis von 257 Millionen Dollar. Im Oktober 2003 holte man sich Overture ins Portfolio.
Semel hatte damit seine Suchmaschine und er hatte seine Marketing-Technologie. Aber beide in ein gewinnerzielendes Unternehmen zu überführen, war schwieriger als gedacht. Ohne eine klare Strategie kämpften die Führungskräfte von Overture, von Inktomi und Yahoo um die Deutungshoheit. Dutzende Programmierer wurden im ersten Jahr nach der Acquisition bei Overture eingestellt und wieder gefeuert. Die Bürokratie lähmte jegliche Innovationskraft. Große und kleine Entscheidungen wurden von Ausschuss zu Ausschuss getragen. “Es war ein Clusterfuck”, sagte einer der Beteiligten gegenüber Wired.
Retrospektiv nicht überraschend, aber innerhalb weniger Jahre erodierte Overture’s Vorsprung. Als Yahoo beschloss Ouverture zu kaufen, war der Umsatz von Overture zweimal so hoch wie der von Google. Als Yahoo ein Jahr später die Transaktion verkündete, lieferten sich Google und Overture bereits ein Kopf-an-Kopf-Rennen im Markt für suchbezogene Werbung. Zwei Jahre später betrug der Umsatz von Google bereits das 2,5-fache.
Die Moral von der Geschichte
Die Geschichte ist voll von Abenteurern, Wissenschaftlern und Entdeckern, die wahre Pionierarbeit geleistet haben, aber im Fluss der Zeit verloren gegangen sind. Overture und Bill Gross gehören zu ihnen. Mit ihrem Pay-per-Click Werbemodell trugen sie maßgeblich zum Erfolg des Internets bei. Zwar war Google damals bereits eine großartige Suchmaschine, aber das Unternehmen verlor auch viel Geld. Erst als man die Geschäftsmodellinnovation von Overture entlehnte, florierte das Geschäft. Zwar kam die Idee, die Google zur weltweit größten Suchmaschine machte, von Larry Page und Sergey Brin. Doch die Idee, die sie zu einem der größten Unternehmen der Welt werden ließ, kam von Bill Gross und Overture.
Ein weitere relevante Erkenntnis dieser anekdotischen Episode ist die Organisation von Innovation. In „How Google Works“ schreiben Eric Schmidt und Jonathan Rosenberg:
It wasn’t Google’s culture that turned those five engineers into problem-solving ninjas who changed the course of the company over the weekend. Rather it was the culture that attracted the ninjas to the company in the first place.
Der Ausschnitt veranschaulicht, wie Google, im Gegensatz zu Yahoo, eine Kultur aufgebaut hat, die Probleme aktiv angeht. Auch wenn man nie zu hundert Prozent den Survivorship Bias aus solchen Geschichten gestrichen bekommt — das Buch von Schmidt und Rosenberg trieft nur so von Ruhm und Glanz — und Hindsight immer präzise ist, zeigt sie auf, wie wichtig es ist, Innovationen und Ideen frei zirkulieren zu lassen und sich auf Probleme anstatt auf Zwischenmenschlichkeiten, Befindlichkeiten und Hierarchien zu fokussieren.
Die Geschichte ist daher auch eine Lektion über den Aufbau einer Problemlösungskultur. Im Jahr 2002 arbeiteten immerhin bereits mehr als 2000 Mitarbeiter im Unternehmen. Keine unbedeutende Zahl. Hätte Page ein Management Lehrbuch zu Rate gezogen, wäre er zum AdWords Team gegangen, hätte geflucht, gedroht und ein Nachsitzen veranlasst beziehungsweise die Mitarbeiter durch die besten Mitarbeiter ersetzt. Immerhin stand „Shareholder Value“ auf dem Spiel und zudem wollte Google in naher Zukunft an die Börse. Doch was Page tat, stand in keinem Lehrbuch. Er drohte nicht und forderte auch keine Köpfe ein. Vielmehr bot er allen seinen Ingenieuren eine schwierige und interessante Herausforderung an, indem er ein Problem (These ads suck!) sichtbar für Alle in der Küche platzierte. Er adressierte ein breiteres Publikum (nicht nur das AdWords Team, sondern auch die Kolleginnen und Kollegen aus der Suchmaschinen-Abteilung) und nicht nur einzelne Personen.
Vielleicht hoffte er darauf, dass genügend Augen — und damit Sichtweisen — das Problem schon lösen werden. Denn je komplexer ein Problem, desto mehr Hilfe benötigt man. Natürlich hätte Page’s Aktion auch nach hinten losgehen können. Immerhin artikulierte er ein Problem und stellte damit das verantwortliche Team in die Ecke. Doch die Mitarbeiter von Google erkannten es als das, was es war. Dem Linus Law entsprechend, sind alle Bugs trivial, wenn man nur genügend Entwickler hat (“Given enough eyeballs, all bugs are shallow“). Und das Team verhielt sich dementsprechend.
Natürlich hatte Google auch damals bereits eine Managementstruktur und heute ist es aus organisatorischer Sicht vielen andere Unternehmen ähnlich. Doch der Unterschied besteht darin, dass Google nicht zulässt, dass die Organisationsstruktur die betriebliche Praxis bestimmt. Deshalb ist Google in vielerlei Hinsicht immer noch in der Lage, wie ein Startup zu funktionieren. Damals wurde kein Meeting einberufen, es wurden keine Mitarbeiter getauscht, keine Lösungsvorschläge erarbeitet und keine Experimente gefahren. Page hoffte einfach darauf, dass die “besten Leute” diejenigen sein würden, die an dem Problem interessiert waren. Und es stellte sich heraus, dass das Problem für AdWords kompliziert war, für die Suchmaschinenabteilung jedoch relativ einfach. Die “besten Leute” wählten sich selbst.
In Unternehmen mit vorwärtsgerichteten und neugierigen Kulturen weiß jeder, wohin er gehen will und was er braucht, um dorthin zu gelangen. Page musste keine Befehle erteilen, Regeln aufsetzen, jemanden zur Verantwortung ziehen, delegieren oder erklären was zu tun ist. Er vertraute einfach der Kultur, seinen Leuten, und artikulierte ein Problem. Alles, was er zu sagen hatte, war: „These ads suck!“.
Google disruption pay per click business model yahoo Digital Disruption