Was wir vom Fuchs und Igel noch lernen können
„Der Fuchs weiß viele Dinge, aber der Igel weiß eine große Sache“, schreibt der altgriechische Dichter Archilochos. Die Ideengeschichte argumentiert, dass der Igel ein spezialisierter aber starrer Denker ist. Er favorisiert eine tiefe Wahrheit, während der Fuchs multidisziplinär und selbstkritisch im Denken ist. Der Igel fokussiert sich fanatisch auf das Wesentliche. Er entwickelt einfache Lösungen und erreicht durch seine Lautstärke eine große Masse. Der Fuchs hingegen verfolgt widersprüchliche Ziele. Er zeigt intellektuelle Demut, hat ein Gespür für Komplexität und ist bescheiden im Auftreten. Zudem kann er mit Ungewissheiten leben, weil er nicht voll in eine Sache investiert ist. Auch favorisiert er Kreuzungen, an denen Strategien, Wissenschaften oder Ideen in Austausch treten. Egal ob es sich beim anpassungsfähigen Fuchs und beim unerschütterlichen Igel nun um Politiker oder Unternehmer beziehungsweise um Strategien oder Innovationen dreht. Wir neigen den Posaunen des ideologischen Igel zu folgen. Eine fatale Eigenart, denn eigentlich ist der vorsichtige Fuchs dem zuversichtlichen Igel überlegen.
Natürlich ist der Fuchs auch fehlbar. Er verzettelt sich, bewegt sich eher zur Seite als nach Vorne und bespringt jede neue Idee. Die Strategie des Igels ist daher durchaus legitim. Weitsicht und Beharrlichkeit können ein unschlagbares Duo sein. Dennoch können und müssen wir in Zeiten steigender Komplexität vom Fuchs lernen. Sein Ansatz ist von Agilität und Adaptivität geprägt. Er reagiert auf sich ändernde Umstände und nutzt sie. Er lehrt uns, wie man sich für Ideen öffnet und Dinge zulässt, die nicht in unser Weltbild passen. Oder wie wir im weiten Unbekannten nach Neuem suchen und Kreativität und Fortschritt finden können.
Ich bin davon überzeugt, dass wir immer noch viel vom Igel und Fuchs lernen können. Beide müssen nicht zwingend miteinander auskommen. Dafür sind zu unterschiedlich. Doch es lohnt sich beiden eine Heimat zu geben. Denn beide sind wichtig für den Unternehmenserfolg. Natürlich kostet der Unterhalt Zeit, Geld, Geduld und Kraft. Doch folgt man nur Igeln, verpasst man möglicherweise die nächste große Sache. Folgt man dagegen Füchsen auf ihren Irrwegen, verliert man irgendwann den Überblick. Doch beide zusammen sind der Schlüssel zu Robustheit und Adaptivität.
Deswegen sollten wir 2020 anfangen mehr über Strukturen, als über Kulturen und Strategien zu sprechen. Organisationen sind dann erfolgreich, wenn sie Bedingungen schaffen, die neue Ideen aber auch bestehende Überzeugungen fördern. Gerade in Zeiten, wo sich Informationen instantan verbreiten und Startups in den entlegensten Dörfern der Welt entstehen können, ist es wichtig, die Kommunikation und den Austausch nicht zu vernachlässigen. Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen widersprüchlichen Haltungen zu schaffen. Egal wie bizarr oder kontraintuitiv die Ideen sein mögen, egal wie kritisch und skeptisch die Überprüfungen sind, erst der Austausch zwischen Igel und Fuchs lässt die Wahrheit und das Neue ans Licht treten.
In 2020 möchte ich deswegen Grundlagen für Strukturen schaffen, die divergierende und disparate, aber letztlich komplementäre Ideen, Sichtweisen, Strategien oder Produkte koordinieren. Denn die komplexen Probleme des 21. Jahrhundert werden nicht von rücksichtslosen Igeln mit abgestandenen und eindimensionalen Visionen gelöst, sondern von Ökosystemen, bestehend aus vielfältigen Perspektiven, angeleitet durch ein geteiltes Bewusstsein für Werte und Ziele.
Der Text erschien zuerst auf dem Blog von Axel Springer hy.