Das Pechtropfenexperiment
Das Pechtropfenexperiment ist das, ohne Frage, langweiligste Experiment der Geschichte. Und doch, auf eine seltsam poetische Weise, verkörpert es unsere kollektive Unzulänglichkeit, angemessen auf den Klimawandel zu reagieren.
Beginnen wir von vorne: Thomas Parnell, der erste Physikprofessor der The University of Queensland, starte das Experiment 1927, um zu zeigen, dass alltägliche Materialien, wie Pech, ganz überraschende Eigenschaften haben können. Bei Zimmertemperatur fühlt sich Pech fest - ja sogar spröde - an und lässt sich leicht mit einem Hammer zertrümmern. Tatsächlich ist die Substanz, die 100 Milliarden Mal zähflüssiger als Wasser ist, bei Raumtemperatur aber flüssig.
Parnell erhitzte also eine Pechprobe und goss sie in einen Glastrichter mit versiegeltem Stiel. Er ließ das Pech drei Jahre lang abkühlen und schnitt 1930 den Stiel des Trichters ab. Seitdem tropfte das Pech langsam aus dem Trichter und wurde von Professor John Mainstone (der Herr im Bild) verwaltet. Das Pech fließt so langsam, dass es acht Jahre dauerte, bis der erste Tropfen fiel, und mehr als 40 Jahre, bis fünf weitere folgten. Seit Beginn des Experimentes sind erst neun Tropfen gefallen - der letzte im April 2014. Unglücklicherweise, hat weder Parnell noch Mainstone, noch irgendjemand anderes, jemals einen Tropfen fallen sehen.
Doch wie kommen Pech und Klimawandel zusammen? Nun, was uns das Experiment, neben der sehr zähen Eigenschaft von Pech, zeigt, ist, wie unzulänglich unsere Psyche ausgestattet ist, seeeeeehr langsame Entwicklungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
In der Regel gehen wir davon aus, dass der Status quo bis ins Morgen andauert, während er sich in Wirklichkeit unmerklich weiterentwickelt und sich jeden Moment verändern könnte. Egal ob es tektonische Platten sind, die sich verschieben. Oder Viren, die sich exponentiell in unserem Körper ausbreiten. Oder Beziehungen, die von heute auf morgen nach Dekaden enden. Wir nehmen viele Dinge als konstant wahr, obwohl sie sich einfach zu langsam, zu kleinteilig fortentwickeln - bis sie sich dann doch verändern. Eben wie der Pechtropfen, der nach unten fällt.
Das gleiche gilt für die globale Erwärmung. Wir sprechen hier über Zeitskalen von Jahrzehnten, die uns klar zeigen, dass was passiert. Doch im Hier und Jetzt fällt es uns schwer zu erkennen, dass sich die Welt erwärmt. Wir nehmen es erst wahr, wenn etwas Ernstes passiert, wie z. B. seltsames Wetter, Überschwemmung oder Flächenbrände.
Wir, als Gesellschaft, versagen dabei kollektiv kognitiv langfristige Veränderungen in der Umwelt zu bemerken, wie es Daniel Gilbert einmal feststellte. Auch das Shifting Baseline Syndrom fällt hier rein, da es uns immer wieder eine neue Realität einspielt, in der Verluste neu nach unten berechnet werden.
Das Pechtropfenexperiment ist daher ein brillanter Kommentar zu unserer miserablen Fähigkeit, beim größten Drama dieser Erde, der Klimakatastrophe, nicht viel mehr als mit einem Schulterzucken zu reagieren.
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