February 25, 2021
Steve Jobs’ Angst vor Knöpfen
Hier ist eine Sache, die ihr wahrscheinlich nicht von Steve Jobs wusstet: Wie jeder gute Superheld hatte auch er eine Achillesferse.
Der Apple-Mogul hatte eine pathologische Abscheu vor Knöpfen. Und wie jede belastende Phobie hat auch Jobs’ Angst einen schwer auszusprechenden Namen: Koumpounophobie — aus dem Neugriechischen koumpi (“zuknöpfen”).
Mal kurz reflektiert und es scheint nicht ganz abwegig, dass Jobs’ Phobie den Grundstein für den bemerkenswerten Erfolg von Apple gelegt hat. Nicht nur seine Vorliebe für Rollkragenpullover lässt sich durch die Angst vor Knöpfen erklären (die Phobie schlägt wohl besonders bei Kunststoffknöpfen zu — mit Metallverschlüssen kommen die meisten zurecht), sondern auch der Vorstoß für die elegante neue Welt voller nahtlos-berührungsempfindlicher Produkte: und damit meine ich nicht nur Smartphones und Tablets sondern auch die knopffreie “Pro Mouse” aus dem Jahr 2000.
Apple hat immer die Eleganz von Jobs’ Visionen verkauft, nicht die Neurosen dahinter. Doch wer sich an die alten “I’m a Mac”-Werbespots erinnert, in der ein hipper, T-Shirt-tragender Mac-Mann dem zugeknöpften Archetyp des Windows PC die Welt erklärt, findet auch dort Signale für die Wirkung der Koumpounophobie, die durchaus unsere moderne Welt prägte.
Phobie
phobia
Steve Jobs
Apple
seamless design
iPhone
iPad
Coraline
interesting stuff
February 22, 2021
For want of a nail

Der weise Onkel Kamata aus dem verkannten Meisterwerk “The Fast & the Furious: Tokyo Drift” sprach:
Wegen eines fehlenden Nagels ging das Hufeisen verloren. Wegen des fehlenden Hufeisens ging das Pferd verloren. Wegen des fehlenden Pferdes wurde die Nachricht nicht übermittelt. Wegen der nicht übermittelnden Nachricht wurde der Krieg verloren.
Natürlich ist dies kein intellektueller Erguss des F&F-Franchises. Der Sinnspruch hat seinen Ursprung im 13. Jhdt. und hat die Zeit in zahlreichen Variationen überdauert.
Jede noch so unbedeutende Handlung oder Unterlassung kann schwerwiegende und unvorhersehbare Folgen haben. Die Lehre der Geschichte vom Nagel der Gebrüdern Grimm lautet, dass wer im Kleinen nicht Sorge trägt, im Großen Schaden leiden muß. Sic Parvis Magna — großes aus kleinen Ursprüngen, brachte uns schon Nathan Drake aus Uncharted bei. Man eile daher mit Weile.
Der Nagel erinnert uns, dass es sich lohnt, Dinge zu pflegen. Aber auch, dass Kausalketten oft erst im Rückblick wahrgenommen werden können. Niemand denkt beim Anblick eines unbeschlagenen Pferdes an ein potentiell dem Untergang geweihtes Königreich (man ist natürlich gut beraten, nicht dem Nagel die Schuld am Untergang zu geben). So oder so, es lohnt sich, über den Nagel nachzudenken.
Innovation
History
Butterfly Effect
Network Effects
Kaskade
Chaos Theorie
Wildcards
Kausalkette
Geschichte
transitions
February 18, 2021
Der sündhafte Reißverschluss

Anspruchsloser als ein Reißverschluss geht es nicht, dennoch hat er alles verändert.
Egal ob Hose, Sicherheitsverschluss im Weltraum oder elegantes Abendkleid. Der Reißverschluss ist gekommen, um zu bleiben. Doch es dauerte hundert Jahre, bis er sich durchsetzte. Lange Zeit war er nur eine nutzlose technologische Neuheit, mit der ein Erfinder nach dem anderen sein Glück versuchte.
1851 erstmalig patentiert, brauchte es 40 Jahre, bis eine Designvariation auf der Weltausstellung 1893 in Chicago für Aufsehen sorgte. Der Erfolg war jedoch begrenzt. Misserfolge reagierten auf Misserfolge. Ferner gab es Proteste, weil der Reißverschluss als sündhaft galt: Schließlich erleichterte er das Ausziehen.
Erst 1913 entstand eine “hakenlose Verschlussvorrichtung”, die den modernen Reißverschluss gebar. Doch es mussten weitere 40 Jahre vergehen, bis Marlon Brando ihn zum Symbol für die rebellische Natur junger Männer machte. Von da an etablierte sich der Reißverschluss schleichend, aber nachhaltig in unserer Gesellschaft.
Merke: Märkte und Gesellschaften sind lernende Systeme, die auf (langsame) kulturelle Diffusion setzen. Die Einführung von etwas Neuem ist nur der Anfang. Es braucht Zeit, bis sich Dinge herumgesprochen haben. Auch wenn sie noch so einfach sind.
Invention
February 15, 2021
Cornelis Drebbel
Drebbel’s first submarine. 17th century.
Zu den größten Innovationsmythen zählt, dass sich gute Ideen immer durchsetzen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Beispiel gefällig? Aufritt Cornelis Drebbel, auch bekannt als der Thomas Edison bzw. der holländische Archimedes des 17ten Jhdts. Er war moderner Erfinder und mittelalterlicher Alchemist sowie schillernder Unternehmer und beliebt an Königshöfen. Er erfand Teleskope, Mikroskope und Ofen-Thermostate. Er entwickelte einen Inkubator für Küken, Geräte zur Erzeugung von Regen, Blitz, Donner und Kälte und sogar ein Perpetuum-Mobile und noch vieles mehr. 1620 vollendete Drebbel seine wohl größte Erfindung: ein funktionsfähiges U-Boot mit Platz für 12 Matrosen, das dank Sauerstofftanks lange Zeit unter Wasser bleiben konnte.
Drebbel war ein schriller Tausendsassa, der faustisch zwischen Genie und Scharlatan wechselte. Doch sein Ruhm verblasste, auch und gerade weil seine Erfindungen floppten. Man betrachtete sie als Kuriositäten, nicht als nützliche Innovationen. Drebbel ging pleite und verbrachte seine letzten Jahre als Wirt einer Bierstube.
Wie so vieles im Leben, ist auch Innovation eine Frage des Timings. Eine Innovation, die nicht mit einem Markt schwingt, ist keine Innovation. Und das macht Erfindungen und Innovation so schwierig zu managen.
Innovation
Invention
Erfindung
Timing
February 11, 2021
Die zwei Brüder
The Two Brothers by Elenore Abbott
“Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen; der arme nährte sich davon, daß er Besen band, und war gut und redlich…”
So beginnt das Grimm’sche Zaubermärchen “Die zwei Brüder”. Es handelt von den Zwillingsbrüder des Besenbinders, die in die Welt ziehen und magische Abenteuer erleben. So begab es sich, dass einer der Brüder im Märchen mit einer kugelsicheren Hexe kämpft. Doch im Kampf “riss [er] sich drei silberne Knöpfe vom Rock und lud sie in die Büchse, denn dagegen war ihre Kunst umsonst, und als er losdrückte, stürzte sie gleich mit Geschrei herab”.
Ob nun Hexe oder Werwolf, in der Folklore ist eine Silberkugel oft die letzte Waffe gegen das Übernatürliche. Doch was im Märchen funktioniert, ist in der Realität nur Narrengold. Gerade wenn es um Fortschritt, Wachstum & Zukunft geht, haben wir die Angewohnheit, eine Silberkugel nach der anderen zu kaufen.
Viel zu oft fallen wir auf den Denkfehler rein, dass eine Vorgehensweise, die irgendwo zum Erfolg geführt hat, künftig auch in allen anderen Fällen und vor allem bei uns zum Erfolg führen werde. Doch unserer Welt ist komplexer als die Welten der Märchen. Es gibt kein Patentrezept oder Königsweg für Innovation. Wir sind selbst gefragt.
Grimm
UDS Berlin
Märchen
Silberkugel
Narrengold
Survivorship Bias
Innovation
February 8, 2021
Die Erfindung des Organigrams
Organizational diagram of the New York and Erie Railroad, 1855
Let’s be honest: Organigramme gehören zu den langweiligsten Artefakten einer Organisation. Auch, weil 99% unmotiviert in Powerpoint hingeschludert werden. Doch das war nicht immer so.
1855 hatte Daniel McCallum, Generalintendant der Erie Railroad, ein Problem. Sein Arbeitgeber wuchs rasant und damit auch seine Probleme. Überall geschahen Dinge, die gesteuert werden wollten — auch weil der Telegraf es ermöglichte. Sein wachsendes Superintendenten-Netzwerk, zuständig für Streckenabschnitte, war unverwaltbar.
Als Reaktion auf die zunehmende Komplexität entwarf er das erste moderne Organigram der Geschichte. Es sollte ihm helfen, im komplexen Dickicht der Verantwortlichkeiten den Überblick zu behalten (und Schuld zuzuweisen — machen wir uns nichts vor).
Doch was er geschaffen hat verursacht kein Augenkrebs. Es ist eine wahre Schönheit. Lebendig, fast schon organisch. Auch weil es “auf dem Kopf” steht — die Äste und Früchte scheinen flexibel in ihrem Wachstum und können sich der nährenden Sicherheit des Wurzelballens sicher sein, wo alle Informationen zusammenlaufen. Organisation ist in dieser Darstellung Ermöglicher und Entwickler, genauso wie erdrückende tayloristische Top-Down-Planung.
Früher war zwar nicht alles besser. Aber manches war schöner.
Taylor
Corporate Innovation
Culture
Organisationsform
Top Down
History of Science
February 1, 2021
Wie Charles Goodyear versehentlich Gummi entdeckte
Charles Goodyear
Gummi - ein Material von Weltformat. Entdeckt wurde es von Charles Goodyear, der über das Verfahren zur Kautschuk-Vulkanisation in seiner Küche stolperte.
Goodyear, Typ verrückter Amateurforscher, war, wie viele Tüftler & Unternehmer seiner Zeit, besessen von der Idee, mit Kautschuk reich zu werden. 1839 gelang ihm mit einem “wissenschaftlichen Zufall” der Durchbruch: Eine Schwefel-Kautschuk-Mischung fiel auf eine heiße Herdplatte, und formte eine trockene & dauerhaft elastische Substanz - damit hatte er die Vulkanisation entdeckt.
Es folgte die Reise einer Lösung auf der Suche nach einem Problem. Goodyear verkaufte Galoschen & Zelte - beides gefragt in der Goldgräberzeit. Er entwickelte Regenmäntel, Möbel, Haushaltswaren & sogar 2mm dicke Kondome. Doch als Geschäftsmann war er wenig erfolgreich. Eine Zeitung schrieb über ihn: „Wenn ihr einen Mann seht, in Schuhen, mit Mantel und Hut aus Kautschuk, aber ohne einen Cent in der Tasche, dann habt ihr Charles Goodyear vor euch.”
Die Killer-Applikation folgte erst 60 Jahre später: Autoreifen. Ohne das Auto, hätte Gummi längst nicht so transformativ gewirkt. 38 Jahre nach dem Tod Charles Goodyears benannten Frank und Charles Seiberling ihre neu gegründete Firma ihm zu Ehren in Goodyear Tire & Rubber Company.
Merke: Technologien können voneinander abhängig sein. Auch wenn Jahrzehnte zwischen ihnen liegen mögen. Und das macht Innovation so schwierig zu planen.
Rubber
Gummi
Serendipität
Zufall
Innovation
January 25, 2021
Krankheiten des modernen Lebens seit 1906
Internet Archive / University of Toronto Libraries
Hand aufs Herz, jeder hat schon einmal über den Niedergang authentischer menschlicher Interaktion und Kommunikation nachgedacht, ausgelöst durch eine neue Tech-Generation — Telefone, Smartphones und Messenger, Games, Virtual Reality, Internetforen, Furbys oder was auch immer — deren Reiz sich einem nicht gleich erschließt (je älter man wird, desto seltsamer scheinen die zwischenmenschlichen Beziehungen der Jugend).
Aber, man höre und staune, diese Bedenken gelten nicht nur in unserem Zeitalter. Ersetzt man in diesem Zukunftsbild aus einer Ausgabe des Punch-Magazins von 1906 den “drahtlosen Telegrafen” durch Smartphones und passt den Kleidungsstil unserem Zeitgeist an, könnte die Szene problemlos 115 Jahre in der Zukunft spielen. Selbst die Bildunterschrift ist modern: “Diese beiden Figuren kommunizieren nicht miteinander. Die Dame erhält eine amouröse Nachricht und der Herr einige Rennergebnisse.”
Es ist eine unheimliche, aber bemerkenswert genaue Vorhersage der Dinge, die kommen werden. Auch wenn es sicher nicht ernst gemeint war und zudem 114 Jahre später eintritt als gedacht.
techhistory
smartphone
Telegraphie
prognose
past future
vergangene zukunft
Invention
Vorausschau
Innovation
January 21, 2021
Kampf der Götter
Illustration for “God’s Providence”, from the 1705 English edition of Orbis Sensualium Pictus
American Gods ging diese Woche in die dritte Staffel. Leider ist die Serie der literarischen Vorlage von Neil Gaiman nicht gewachsen. Aber das Grundnarrativ bleibt auf den Punkt:
Beschrieben wird das Verblassen der Götter der alten Zeit, da niemand mehr an sie glaubt. Im Vakuum der Macht erheben sich neue Gottheiten aus dem Bewusstsein der Menschen. Wesen, die die neuen Medien, den Kapitalmarkt, die Drogen, die Mobilität, die Schönheitschirurgie und — no surprise — das Internet vertreten. Sie fordern Odin, Loki, Czernobog, Anansi, Kali, Anubis, Gwydion und viele andere heraus und es kommt wie es kommen muss.
Auch wenn keine Göttlichkeit erwähnt wird, die ihre Stärke aus der Innovation und kreativen Zerstörung schöpft, würde es mich nicht wundern, wenn sie existiert und mächtig ist. Denn Innovation wird so intensiv gepredigt und gelebt wie nie zuvor. Überall lauern Erlösergestalten und andere Hohepriester, die Melodien über #Disruption, #Transformation und die Unvermeidbarkeit des Neuen pfeifen.
Und wie es so ist mit Göttern und Gefolgschaften. Die falschen Propheten überwiegen. Schein oder sein, wer vermag das zu unterscheiden. Solange die Predigten nicht enden, ist die Göttin glücklich. Wer überleben will, sollte huldigen. Es kann nicht schaden. Oder?
Neil Gaiman
American Gods
Propheten
Narrativ
Innovation
January 18, 2021
Entstehungsgeschichte der Tour de France
Erste Tour de France, L’Auto, 01. Juli 1903
Das prestigeträchtigste Rennen der Radsportwelt hat in den letzten Jahren zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt. Sowohl sportlich als auch finanziell. Was ich nicht wusste, war, dass es aus einer tiefen finanziellen Verzweiflung heraus geboren wurde.
Die Tour de France wurde um die Wende des 20. Jahrhunderts von der französischen Zeitung L’Auto ins Leben gerufen. 1903 musste das Magazin einen Umsatzrückgang hinnehmen. Also nahm man die Mitarbeiter ins Gebet und bat sie, nach Wegen zur Steigerung der Auflage zu suchen.
Während einer Krisenkonferenz kam der 26-jährige Sportjournalist Géo Lefèvre auf die Schnappsidee, das größte Radrennen in der Geschichte des Landes zu veranstalten. In späteren Interviews gab er an, er habe das Sechstagerennen durch Frankreich nur vorgeschlagen, weil ihm nichts anderes einfiel.
Obgleich man überzeugt war, dass dem Automobilsport die Zukunft gehörte, versuchte man es trotzdem. Lefèvre wurde Berichterstatter, Rennleiter, Schiedsrichter, Zeitnehmer und Zielrichter. Mit Erfolg. Das Rennen verdreifachte die Auflage von 25.000 auf 65.000 Zeitungen pro Tag, und in den nächsten dreißig Jahren konnte die Zeitung eine 34-fache Steigerung der Auflage verzeichnen.
Vielleicht fühlt sich irgendwer aus der Medienindustrie ja inspiriert 🚴
Medien
Innovation
Marketing
Zeitungen
Newspaper